Freitag, 21. Februar 2014

Kriminalisierung ist so alt wie die Macht


Von Jutta Blume

Was tun gegen die Kriminalisierung sozialer Bewegungen in Zentralamerika? - Unter dieser Fragestellung trafen sich Vertreter_innen von Nichtregierungsorganisationen und Solidaritätsgruppen aus dem deutschsprachigen Raum sowie aus Guatemala und Honduras Anfang Februar in Hofgeismar. Dabei ging es sowohl darum, das aktuelle Phänomen der Kriminalisierung in Zentralamerika besser zu verstehen als auch eine Perspektive der gemeinsamen Arbeit zu finden. Die teilnehmenden Organisationen fanden sich an diesem Wochenende zu einem „Runden Tisch Zentralamerika“ zusammen, der Forum für Informationsaustausch und Koordination gemeinsamer Aktionen werden soll.


In einer politischen Morgenandacht erzählte Bernd Kappes die biblische Geschichte von Nabots Weinberg. Darin möchte König Ahab den Weinbauern Nabot enteignen, weil ihm dessen Weinberg gefällt und in der Nähe seines Palasts liegt, doch Nabot weigert sich, das Erbe seines Vaters herzugeben. Der erboste König bedient sich nun des Mittels der Kriminalisierung. Er lässt falsche Zeugen Nabot der Gottes- und Königslästerung beschuldigen und lässt ihn steinigen, um sich anschließend den Weinberg anzueignen. Ob Wahrheit oder Parabel – die Geschichte zeigt, dass die Kriminalisierung und der Landraub von jeher Mittel der Machthabenden waren.

Kriminalisierung umfasst mehr als juristische Aktionen des Staates gegen Personen, die ihm gegenüber eine unliebsame Meinung vertreten. Das machte Anabella Sibrián von der Internationalen Plattform gegen die Straffreiheit aus Guatemala deutlich. Im Juni 2012 erarbeiteten mehrere internationale Organisationen eine gemeinsame Begriffsbestimmung. Zu den Angriffen von Seiten des Staates zählen willkürliche Verhaftungen und die Verschleppung von Verfahren sowie das Verhängen von Ausnahmezustände, um in der Verfassung garantierte Rechte außer Kraft zu setzen. Kriminalisierung kann aber auch von Seiten nicht staatlicher Akteure erfolgen, wie etwa durch Unternehmen und private Sicherheitskräfte. Neben Belästigung, Einschüchterung und körperlichen Übergriffen können dies auch Kampagnen sein, um das öffentliche Ansehen von Menschenrechtsverteidiger_innen zu beschädigen. „Dies ist ein Phänomen, das in verschiedenen Teilen des Kontinents auftritt und nicht notwendigerweise mit der politischen Rechten oder Linken verbunden ist“, so Sibrián. Zunehmend richten sich Delegitimisierungskampagnen auch gegen internationale Menschenrechtsorganisationen. Aus Guatemala berichtete Sibrián von einer Kampagne gegen Menschenrechtsverteidiger_innen im Zusammenhang mit dem Völkermord-Prozess gegen Efraín Ríos Montt. Ergebnis der Delegitimisierung sei, das Menschenrechtsverteidiger_innen als Verteidiger_innen von Verbrechern oder selbst als Verbrecher wahrgenommen würden.
Verschärfte Gesetze, die etwa die Versammlungsfreiheit außer Kraft setzen, oder die den Protest gegen die Praxis eines Unternehmens zu einem terroristischen Akt deklarieren, wie es in Honduras geschieht, machen die Kriminalisierung politischer Gegner_innen leicht. „Wir müssen dazu übergehen, die Gesetze in Frage zu stellen“, meint daher Sibrián. Werden die Menschenrechtsverteidiger_innen einmal einem juristischen Prozess unterworfen, erfolgen weniger Interventionen aus anderen Ländern, aus Angst, sich damit in innere Angelegenheiten einzumischen.

Ausverkauf und Repression in Honduras und Guatemala

Besonders von der Kriminalisierung betroffene Länder Zentralamerikas sind derzeit Honduras und Guatemala, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass „die Kriminalisierung sich immer weiter globalisiert und die Folge eines ökonomischen Modells ist“, wie es der Soziologe und Menschenrechtsverteidiger Pedro Landa vom honduranischen Zentrum für die Förderung von Gemeindeentwicklung (CEHPRODEC) ausdrückte. Seit dem Putsch im Jahr 2009 haben Gewalt und Kriminalisierung in Honduras massiv zugenommen. Zur Unsicherheit tragen verschiedene Faktoren bei: die Kontrolle großer Territorien durch die Drogenkartelle, die Militarisierung der Gesellschaft nach dem Putsch, Straffreiheit auf der einen und Kriminalisierung auf der anderen Seite, eine Politik des Ausverkaufs der Naturgüter und nicht zuletzt die extreme Armut, in der zwei Drittel der Bevölkerung leben. Die De-Facto-Regierung nach dem Putsch hatte das Motto herausgegeben: „Honduras Open for Business“. „Das System folgt einer perversen Logik, in der lediglich Ressourcen zählen, nicht aber Menschen“, meint Landa. „Das Land garantiert, dass keine einzige Menschenrechtsverletzung verfolgt wird und damit freier Zugang zu den natürlichen Ressourcen gewährleistet wird.“ Seit dem Putsch wurde eine Serie von Gesetzen verabschiedet, die die Kriminalisierung erleichtern, dazu zählen das Abhörgesetz, das Antiterrorismusgesetz, das Kommunikationsgesetz, das Gesetz der Militärpolizei und das Gesetz der Staatsgeheimnisse. Nach honduranischer Gesetzeslage gelte als Terrorist, wer die Freiheit eines Unternehmens behindere. Auf diese Weise werden Staudamm- und Minengegner zu Terroristen gemacht. Prominentestes Beispiel für Repression und Kriminalisierung des Protestes war in letzter Zeit das Staudammprojekt Agua Zarca, gegen das sich die indigenen Lenca-Gemeinden in der Region stellten.

Auch in Guatemala sind indigene Gemeinden oftmals von der Ausbeutung ihrer Naturgüter betroffen. Am bekanntesten ist wohl der Protest gegen die Mine Marlin, der seit dem Jahr 2005 aufrecht erhalten wird. Weitere Proteste richten sich beispielsweise gegen eine Zementfabrik in der Gemeinde San Juan Sacatepéquez oder gegen den Goldbergbau in der Mine „El Tumbor“ in La Puya. In beiden Fällen werden die indigenen Protestierenden kriminalisiert, bedroht und tätlich angegriffen. Für die Kriminalisierten hat ihr Protest oft auch ökonomische Konsequenzen, z.B. wenn sie durch Gefangenschaft oder Auflagen, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden, ihren Arbeitsplatz verlieren.

Möglichkeiten politischer Einflussnahme in Europa

Wie Menschenrechtsverteidiger_innen von Europa aus geschützt und unterstützt werden können, diskutierten die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament, Barbara Lochbihler (Grüne), Susanna Daag von der Kopenhagener Initiative für Zentralamerika und Mexiko (CIFCA) und Reiner Focken-Sonneck von Brot für die Welt.
Seit 2004 existieren die EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen, die auch konkret die Aufgaben der EU-Botschaften definieren, erklärte Barbara Lochbihler. Beispielsweise sollten sie Schutz bei unmittelbarer Gefahr bieten, Menschenrechtsverteidiger_innen bei Veranstaltungen zu Wort kommen lassen, im Fall von Verhaftungen Prozesse beobachten und Gefängnisbesuche machen. Im Dezember 2013 wurde erstmals eine EU-Menschenrechtsstrategie verabschiedet, zu deren Umsetzung es auch einen Aktionsplan gibt. „Was im Aktionsplan steht, muss die EU machen“, sagte Lochbihler. In der Realität fehle es allerdings an der Implementierung der inhaltlich guten Leitlinien. Das sei das Ergebnis einer Studie im Auftrag des wissenschaftliche Ausschusses. Ursache für die mangelnde Umsetzung könnte sein, dass die jeweilige in der Botschaft zuständige Person mit zu vielen Aufgaben betraut sei und zumeist in der Hierarchie weit unten stehe. Es besteht das Recht, Beschwerde in Brüssel einzulegen, wenn eine EU-Delegation ihren Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich nicht nachkommt.
Mit dem Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) verfügt die EU über finanzielle Mittel, um die Menschenrechtsverteidigung zu unterstützen. Eine konkrete Liste geförderter Projekte konnte die Kommission auf Anfrage Lochbihlers bislang nicht vorlegen. Bei Brot für die Welt ist der Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen ein Bereich, der in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. „Wir sehen uns mit Situationen konfrontiert, die wir in Zentralamerika längst überwunden glaubten“, sagte Reiner Focken-Sonneck. Ein organisatorisches Problem sei die Zusammenarbeit mit Basisorganisationen, da diese oft keine juristische Person hätten. „Im Bereich Kleinprojektprogramme könnten wir in Zentralamerika besser aufgestellt sein“, so Focken-Sonneck.
„Wir müssen auf allen Ebenen an dem Bild arbeiten, das wir von Menschenrechtsverteidiger_innen haben“, meinte Susanna Daag. Menschenrechtsverteidiger_innen sind schon lange nicht mehr nur die Vertreter_innen großer Menschenrechtsorganisationen, sondern Vertreter_innen von Gemeinden, Umweltschützer_innen etc. Ein weiteres noch zu bearbeitendes Feld sei die Verpflichtung zur Unternehmensverantwortung europäischer Unternehmen. Den (bislang noch nicht verabschiedeten) Pfeiler des politischen Dialogs, der im Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika vorgesehen ist, hielt Daag für ein eher unwirksames Instrument, um Menschenrechte durchzusetzen.

Die Frage des „Was tun?“ stellte sich im Verlauf des gesamten Wochenendes immer wieder. Die Möglichkeiten reichen von mehr öffentlichen Mobilisierungen über den besseren Gebrauch von (EU-) Richtlinien und Programmen, Unterstützung über einen schnell mobilisierbaren Rechtshilfefonds bis hin zum Austausch zwischen Gemeinden verschiedener Länder. Fundamental dabei bleibt, Menschenrechtsverteidiger_innen nicht zum Opfer zu stilisieren und sie für sich selbst sprechen zu lassen.